Mittwoch, 12. Dezember 2012

Lesung Nr. 3

Doch mit einem kleinen Schuss Wehmut meine letzte Lesung in Maribor absolviert. Die Texte waren entsprechend alle etwas auf Abschied gebürstet: beim Packen und Aufräumen war ja noch mal richtig Zeit zur Reflektion der vergangenen Wochen und Monate.

Ich war sehr froh über die ordentliche Anzahl an Zuhörern, kein Vergleich mehr zu meiner Vorstellung als Stadtschreiber im Juni. Das waren noch Zeiten. Da lag alles noch vor mir, die Stadt, das Land, die Slowenen - alles war mir fremd.

Werde in den nächsten Tagen noch die Texte der Lesung hier veröffentlichen und dann und damit auch langsam aber sicher Adio Maribor sagen. 

Mittwoch, 5. Dezember 2012

Der Tag, der in der Schublade verschwand*

Es ist 11 Uhr an einem Freitag im November, eigentlich ein normaler Arbeitstag, aber die Büros sind leer, das Schuften eingestellt.

Ich stehe in einem kleinen Kreis von Menschen direkt gegenüber dem Weinladen Vinag, von der Bühne dröhnt mir Umpahmusik in die Ohren, und jemand namens Roman füllt mir ständig meinen Plastikbecher mit Mariborčan nach.

In Maribor auf dem Schloßplatz scharrt sich das Volk um die Weinstände, trinkt, lacht, grölt, tanzt, isst. Um die Mittagszeit sehe ich bereits einige Nasen leuchten, rot wie Signalbojen.

Eine Frau, auch ihre Nase ist schon etwas, rot sagt zu mir: “Da kannst Du jemand das ganze Jahr nicht sehen, aber hier am Martinstag siehst Du einfach Alle!” Sie unterstreicht diesen Ausbruch mit einer Geste ihres Armes, der alle auf diesem Platz umfasst, dann wendet sie sich wieder ihren Freunden zu, sie reden slowenisch, davon verstehe ich leider nicht so viel, aber das ist egal, denn ich denke darüber nach, dass dieser Tag auch in Deutschland eine Bedeutung hat, wenn auch eine ganz andere: Es ist der Beginn der fünften Jahreszeit, des Karnevals, der bis zum Aschermittwoch geht. Getrunken wird also auch, nur viel viel länger. Gut, in Deutschland sind manche Dinge einfach größer als in diesem kleinen Land, in dem ich jetzt schon vier Monate lang bin. Meine Zeit ist fast vorbei, bald muss ich das Land, dessen Umrisse auf der Landkarte wie ein Huhn aussehen, verlassen und frage mich nun natürlich, ob ich von Slowenien nicht nur den Hals, die Brust und die Flügel kennengelernt habe, sondern auch die Innereien?

Von Anfang an wollte ich der Frage nachgehen, wie die Slowenen eigentlich so sind, wollte sozusagen ein paar Begriffe für meine persönliche Schublade. Ich weiß, die Beschäftigung mit Stereotypen ist ein unsicheres Gebiet. Walter Lippmann nennt sie zum Beispiel “eine erkenntnis-ökonomische Abwehreinrichtung gegen die notwendigen Aufwendungen einer umfassenden Detailerfahrung.”

Aha.

Aber ich war und bin einfach interessiert daran, etwas Festes, etwas Haltbares zu haben, wie der griechische Begriff impliziert. Vielleicht liegt das daran, dass ich so herzlich wenig wusste über Slowenien; für mich war es vor diesem Sommer ein böhmisches Dorf. Immerhin habe ich Slowenien nie mit der Slowakei verwechselt, wie etwa der weltgewandte George W. Bush.

Aus der Stadt, aus der ich komme, Rüsselsheim nämlich, eine Industriestadt Maribor nicht unähnlich, kannte ich Kroaten (und ihre Restaurants namens Dubrovnik oder Split, komischerweise immer mit dem Zusatz “Internationale Küche", als wäre die kroatische nicht genug), Serben, Bosnier und sogar Kosovo-Albaner. Aber keine Slowenen.

Ich gewöhnte mir als Stadtschreiber also an, die Frage nach den Stereotypen immer wieder zu stellen.

Wer könnte mir diese Frage besser beantworten, dachte ich, als der Bürgermeister von Maribor, Franc Kangler? Ich weiß schon, er ist unheimlich beliebt hier und in den folgenden Wochen sollte ich noch einige Demonstrationen gegen ihn miterleben. Trotzdem saß ich im Spätsommer mit ihm und einer Parlamentarierdelegation aus Deutschland an einem Tisch im City Hotel und Kangler redete und redete, vor allem redete er von den ganzen falschen Vorwürfen gegen ihn, von den Korruptionsverfahren und den Klagen der Vetternwirtschaft.

Dabei hatte ihn keiner danach gefragt.

Als schließlich der Wein der alten Rebe auf den Tisch kam, von dem ich geheime Fantasien hegte, eine Flasche geschenkt zu bekommen, endlich in einem Atemzug mit Clinton und Mandela genannt zu werden, fragte ich Kangler: Wie sind sie denn, die Slowenen?

Kangler trank einen Schluck von dem dünnen, körperlosen - wirklich, ist ja toll, dass die Rebe im Guinessbuch steht, aber der Wein geht gar nicht, dachte ich und war mir sicher, dass die Flasche immer noch ungeöffnet bei Clinton im Büro steht - jedenfalls trank der Bürgermeister einen Schluck, tat ganz geschmackvoll, und da wusste ich schon, das wird nichts mit der Antwort. “Ja”, sagte Kangler, “also ich habe einen deutschen Mercedes, 30 Jahre alt, fährt spitze, immer noch mit dem ersten Motor, sehr zufrieden bin ich. Mit den Japanern hingegen habe ich keine guten Erfahrungen gemacht.”

So ging das noch eine ganze Weile. Wohl oder übel musste ich mein Glas austrinken, um einfach etwas bei dieser sinnlosen Antwort zu tun zu haben. Gut, der Bürgermeister wusste es also nicht, das war schon mal abgehakt.

Auf dem Schloßplatz holt mich jemand aus meinen Gedanken an den Bürgermeister und schenkt mir das Glas schon wieder voll. Dabei habe ich noch gar nichts gegessen, aber ich bin geneigt, mich den lokalen Gegebenheiten anzupassen.

In der Runde ist eine wilde Diskussion im Gange und ich frage Tina, worum es geht. Um Kangler, sagt sie. Um Kangler und seine Politik der tausend Autoblitzer. Angeblich würden sich die Leute die Nummernschilder überkleben, demonstrieren wollen, sie seien wütend, würden ihn am liebsten aus dem Rathaus und im Knast haben. Später werden sie vor seinem Amtssitz "Gotof Je" skandieren, Du bist fertig.

Dieser Kangler scheint ein ganz schönes Schlitzohr zu sein, denke ich mir, und werde daraufhin schon in den Innenhof von Vinag geschleppt. Unten hat es hier einen tollen Weinkeller mit einigen Fässern, die groß wie kleine Boote sind. Das Weinarchiv langte mal zurück bis in die Zeit der Jahrhundertwende. Dann kamen allerdings die Nazis, und man kann ja viel über sie sagen, aber nicht, dass sie keinen Geschmack hatten in Sachen Wein. Die müssen einige Gelage hier gefeiert haben. Jedenfalls fängt heute das Archiv pünktlich bei Jahrgang 1945 an.

Wir sind im Innenhof, an einer Bar, in der Mitte stehen Fässer hochkant, ein DJ aus der Pekarna spielt, der ehemaligen Militärbackerei, die jetzt ein alternatives Zentrum ist. Das Publikum ist jünger als draußen auf dem Platz, aber ebenso betrunken.

“Hey”, sagt der Typ neben mir, “Ich bin Tomasz”, haut mir zuerst auf den Rücken und dann schenkt er mir ein Glas ein. Tomasz muss sich schon an dem Fass festhalten, seine Augen sind glasig und er redet entsprechend darauf los. Er ist Architekt, seine Frau Arzt, aber eigentlich ist alles scheiße und die Präsidentenwahl am Sonntag interessiert ihn auch nicht. Er macht eine abfällige Geste und sagt: “Scheiß Politiker, die kennen sich alle hier in Slowenien, das Land ist viel zu klein, viel zu klein”, sagt er und schüttelt den Kopf. “Und dieser Kangler, den haße ich am allermeisten, von allen Politikern in ganz Slowenien. Mafia! Alles eine Mafia!”, ruft er aus, schwankt und findet wieder Halt am Fass.

Ich erinnere mich an eine Zugfahrt von Ljubljana nach Maribor. Ich saß mit einer hübschen brünetten jungen Frau im Abteil - ihr Name war Lorna - wir unterhielten uns über Slowenien und irgendwann während der langen Fahrt stellte ich ihr meine Frage. Neidisch seien die Slowenen, sagte Lorna. Neidisch und kleinbürgerlich. Selbstmordgefährdet obendrein.

Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Ich wartete, ob in der Aufzählung noch Platz war für ein paar positive Begriffe, aber da kamen keine mehr. Wer würde sich denn so bezeichnen?, dachte ich. Auf der anderen Seite, Lorna hatte ja “sie” gesagt und nicht “wir”.

Daran musste ich denken, als Tomasz gerade seine Tirade gegen den Staat beendete. “Wieso gehst Du nicht in die Politik”, frage ich, “wieso änderst du nicht etwas?” aber Tomasz guckt mich nur an, als hätte ich vorgeschlagen als nächstes ein Glas Wasser zu trinken.

Wir holen Natalia in unsere Runde, eine Russin aus St. Petersburg, die für paar Tage in der Stadt ist, an der Uni unterrichtet, sehr jung und beängstigend klug ist. Ja, auch sehr hübsch.

“Immer beschweren sich die Slowenen”, sagt sie, “dabei haben die es hier doch so schön! Ich verstehe das nicht.” Tomasz leert seinen Becher, dann sagt er mit noch nassen Lippen: “Wir beschweren uns halt gerne.”

Schnell schenkt uns Tomasz die Gläser wieder voll, damit uns die Füße nicht abfrieren, eine reine Schutzmaßnahme, wie er sagt. Wir stoßen an, auf die Vereinfachung der Vielfalt, auf dass Vorurteile schwerer zu spalten sind als ein Atom. Wer hat das noch mal gesagt? Na ja egal, bisschen spät am Abend für richtiges Zitieren. Wir reden und philosophieren über den deutschen Michel, die französische Marianne, Uncle Sam und Kranjski Janez.

Neulich hatte ich in einem Reiseführer im Kapitel Kultur über die Slowenen gelesen, dass zwei Begriffe immer wieder zu ihrer Beschreibung herangezogen werden: priden (fleißig) und hrepenenje (Sehnsucht). Ich bin mit diesen Begriffen hausieren gegangen, bin aber auch sie nirgends losgeworden.

Inzwischen ist es dunkel und ich habe schon das 10, vielleicht auch das 20. Glas in der Hand. Tomasz tanzt wie ein Narr an Karneval durch die Gegend, Natalia philosophiert über die Liebe der Russen für den Moment und die Gastfreundlichkeit, ich versuche mit schönen Sloweninnen zu flirten, aber meine Augen kreuzen sich leider schon, also höre ich France zu, das ist Tomasz Bruder, Journalist, und der kann mir einiges erzählen, vor allem ist er noch klar im Kopf, hat kaum was getrunken - ungewöhnlich für einen Journalisten - und füllt deswegen meine Stereotypendatenbank mit den folgenden Adjektiven: naturverliebt seien die Slowenen, familienverbunden, diszipliniert, ehrlich, melancholisch, sportbegeistert, genußorientiert, introvertiert.

Gott sei Dank, denke ich, gott sei dank. Doch kein Volk am Abgrund. Ein bisschen bin ich in meinem alkholischen Stupor auch stolz auf mich, denn Frances Aussagen decken sich mit meinen persönlichen Erfahrungen, nur konnte ich mir ja nicht anmaßen, über die Slowenen zu urteilen, oder?

Beim Stichwort introvertiert, jedenfalls, stolpert Tomasz wieder in unsere Runde. “Ein Toast”, schreit er, als wäre ein Krieg gerade zu Ende, “ein Toast!” und füllt die Gläser auf. Ich weiß wie nichts anderes auf dieser Welt, dass der Kater morgen nicht schön sein wird, denke darüber nach, ob die Slowenen wohl ein Wort und auch noch gleich eine Kur dafür haben, da ruft Tomasz wieder: “Ein Toast, ein Toast!”

Leider kann ich mich an den Toast nicht mehr erinnern. Ab da habe ich einen Filmriss. Ich weiß nur noch, beziehungsweise ich fühle es, dass France etwas sehr schlaues gesagt hatte, etwas, dass die ganze Diskussion davor um die Slowenen und ihr Inneres wunderbar zusammen gefasst hat, aber ich will verdammt sein, wenn ich es noch zusammen kriegen würde. Vielleicht ist das ja auch ganz gut so. Der Wunsch die soziale Wirklichkeit irgendwie zu bündeln ist doch auch so lustlos, so banal, ja schon fast gemein. Wie hat Friedrich der Große so schön gesagt: Jeder nach seiner Fasson. Ein schöner Spruch, an den kann ich mich sogar mit dem größten Kater erinnern. Autsch.

*Text aus der Lesung an der Uni Maribor

Winterlicht





Dienstag, 4. Dezember 2012

Daumenkino

Blick aus meinem Stadtparkfenster in den letzten Wochen.












Montag, 3. Dezember 2012

Frontbericht

Ich kann es leider nicht anders sagen. Mein Küchenfenster geht ja direkt zum Innenhof der Stadtverwaltung raus und wie man auf dem Bild sehen kann, füllt sich ebendieser mit sehr, sehr vielen Mannschaftswagen.

In der Stadt machen gerade alle Cafés und Restaurants dicht und über Maribor kreist ein Leichtflugzeug, das ein Banner mit dem folgenden Spruch, hinter sich her zieht: Gotof Je! Was soviel heißt wie "Du hast fertig!"Adressiert an den Bürgermeister Kangler.

Trouble in little Maribortown.

Der Ärger kommt nicht von ungefähr. Vor allem die jungen Leute haben die Machenschaften der politischen Eliten satt und fordern den sofortigen Rücktritt aller, die derzeit in Korruptionsprozesse verwickelt sind. Gegen Maribors Bürgermeister Kangler laufen zehn solcher Ermittlungen.

Die beinden politischen Lager in Slowenien sind extrem zerstritten und sind mehr damit beschäftigt, sich zu hassen und gegenseitig zu blockieren, als für die Bürger zu arbeiten und die Probleme des Landes anzupacken.

Wie hoch die Frustration wirklich ist, zeigt die Wahlbeteiligung bei der Präsidentenwahl in den letzten zwei Wochen: 32 Prozent. 

Erzähl mir was

Am vergangenen Freitag war es mal an der Zeit für ein kleines Experiment: ausgehend von der Prämisse, dass wir alle narrative Wesen sind, unsere Leben wie eine Geschichte stricken, es sequenzieren, weglassen und hinzufügen, so daß vieles (vielleicht sogar alles) im Rückblick etwas außerordentlich Stringentes hat, wollte ich wahllos Menschen bitten, mir eine Geschichte aus ihrem Leben zu erzählen.

Also habe ich mir einen Tisch besorgt, mich in einen der Ausstellungsräume gesetzt, mein Mikrofon aufgestellt und professionell in die Gegend geschaut. 

Mir war schon klar, dass ich eine Alternative vorbereiten muss, einen Fragebogen zum Beispiel, weil manchen die Bitte "Erzähl mir etwas" (verständlich auch) bestimmt überfordern würde.

Hier ist ein Auszug der Ergebnisse:


Maja, 29. Volonteer 

Wer ist Dein Lieblingsautor? 

Hermann Hesse

Welches Ereignis in Deinem Leben würdest Du als wegweisend bezeichnen?

Das Ende meiner letzten Beziehung. Ich habe Schluss gemacht und das war sehr wichtig für mich, endlich loszukommen. Danach habe ich bei einem kroatischen Film gearbeitet, auf einer Insel, und das war unheimlich befreiend, säubernd. Meine ganze Energie hat sich dadurch geändert, von negativ zu positiv.

Was ist Dein Traum vom Glück?

Frieden. Aber den muss jeder in sich selbst finden.

Hast Du ein Lebensmotto?

Versuche in Allem das Gute zu finden.

Was gefällt Dir an Maribor?

Die Energie. Ich mag' die kleinen Dinge hier.


Jasna, 60. Künstlerin


Ich arbeite in meinem Bereich jetzt seit 40 Jahren, habe an der Kunstschule in Ljubljana studiert, bin dann nach Indien und schließlich nach Maribor. Ich war immer selbständig, habe nie einen Job gehabt, das ist doch schon ein Erfolg an sich, oder?

Jetzt ist es wie das Ende eines Marathons. Es war nicht einfach, weil ich nicht wußte, wie man mit dieser Bürokratie umgeht. Künstler sind selten gute Bürokraten, es ist wichtiger, dass wir uns ausdrücken. Trotzdem habe ich es geschafft hier und jetzt zu landen und nun habe ich jede Menge Referenzen. Meine ganzen anderen Künstlerkollegen hat der Papierkram nur abgeschreckt.

Ich habe eine kleine Galerie in der Stadt, in der ältesten Straße, unten an der Drau, früher war das mal das jüdische Viertel, bevor sie vertrieben wurden.

Diese alten Mauern reden mit mir und ich höre zu. Irgendwie kommen viele Anhänger von Alistar Crowley zu mir, vielleicht weil er viel mit Kabbala gemacht hat.

Es herrscht da eine eigentümliche Energie, ich glaube wie an jedem Ort, an dem Menschen tausende von Jahren entlang gelaufen sind.

An jedem 25. habe ich ein kleines Happening. Ich sage zu den Seelen da draußen, worauf wartet ihr, das Jahr geht zu Ende, wir müssen die Energie ändern, die schlechten Sachen müssen raus.


Alenka, 26. Politik-Dozentin 


Wer ist Dein Lieblingsautor?

Boris Pahor

Welches Ereignis in Deinem Leben würdest Du als wegweisend bezeichnen?

Der Moment als ich zum ersten Mal in die USA geflogen bin, ganz alleine. Ich wußte nicht, was ich erwarten sollte, ich hatte noch nicht mal eine Telefonnummer, die ich anrufen konnte. Ich wußte, dass es mein Leben verändern würde - ich hatte davor ein schlimmes Jahr - weil ich zum ersten Mal richtig alleine war. Ich fühlte mich sehr klein, auf der anderen Seite aber sehr stark. Es gab nur mich, keiner kannte mich und so konnte ich mich selbst entdecken. Also habe ich nur das gemacht, worauf ich Lust hatte. Wollte ich alleine ins Kino oder in den Park ein Buch lesen, dann habe ich es halt gemacht. In Maribor ist mir das nie so gelungen; immer will jemand was von dir, erwartet etwas von dir. Ich habe so viel alleine gemacht; ich würde sagen, es hat mich geprägt, weil ich zum ersten mal mutig genug war, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen und auch Nein zu anderen Leuten zu sagen. Ich fühlte mich wirklich frei. Danach wurde alles einfacher.

Was ist Dein Traum vom Glück?

Am wichtigsten ist es, zufrieden mit sich zu sein, 100 Prozent. Die Momente des Glücks sind immer kleine Momente, finde ich. Wie beim Wandern oder mit der Familie. Hättest Du vor drei Jahren gefragt, hätte ich gesagt: Der perfekte Partner, guter Job, genug Geld und zwei Urlaube pro Jahr.

Hast Du ein Lebensmotto?

Du musst im Moment leben, auch wenn das sehr viel Übung erfordert.

Was gefällt Dir an Maribor?

Der Komfort einer kleinen Stadt. Du weißt immer wohin. Es ist ruhig, die Natur ist nah, perfekt um Kinder groß zu ziehen. Ich liebe den Piramidenberg, vor allem wenn ich alleine dort oben bin.


Igor, 35. Dichter 


Vor ein paar Jahren war ich mit ein paar Freunden abends in Maribor aus. Wir sind in die Poststraße und haben uns erst beim Bosnier und dann im Tildos fürchterlich betrunken. Dann sind wir durch die Stadt gezogen, schon ziemlich am Torkeln. Irgendwann sind wir vor einem Schaufenster gelandet und haben uns die Jacken für den Winter angeschaut. Ich brauchte unbedingt eine, aber hatte kein Geld. Also dachten wir uns, es ist drei Uhr morgens, keine Polizei weit und breit, schmeißen wir die Scheibe ein.

Wir besorgten und Pflastersteine und haben genau das gemacht. Als die Alarmanlage los ist, sind meine Freunde abgehauen, nur ich bin geblieben, weil ich unbedingt diese Jacke haben wollte. Allerdings war die Polizei doch nicht so weit weg und hat mich dabei erwischt. Das war so ziemlich der peinlichste Moment in meinem Leben.

Es hatte aber sein Gutes. Ich musste die Nacht auf der Polizeiwache verbringen und als ich langsam nüchtern wurde, schwor ich mir, nie wieder so einen Scheiß zu bauen und mich ganz auf das Schreiben zu konzentrieren. Das war vor ein paar Jahren und heute kann ich tatsächlich vom Dichten leben. Nicht ausufernd aber immerhin. Ich sage immer: Ein Künstler lebt nur ein kleines bisschen besser als ein Clochard.

Lesung wird verschoben

Anscheinend wird der heutige Protest in Maribor noch mal eine Runde größer als in der vergangenen Woche. Dazu soll der ganze Zug durch die Innenstadt und dann zum Rathaus marschieren. Also hat sich die Kulturdirektion dafür entschieden, alle Veranstaltungen heute Abend abzusagen, meine Lesung eingeschlossen.

Ich finde das ziemlich wild. Fast juckt es mich, hier journalistisch einzugreifen. Allerdings ist dafür meine Zeit gerade ein wenig knapp.

Neuer Termin für meine Abschlusslesung jedenfalls ist am Mittwoch um 16:00 Uhr.